Ja mei, so war er, der Uli. Im September 2012 saß Uli Hoeneß im Fernsehen bei Phoenix und plauderte sich durch sein Leben. Wie die Bayern mit ihm zur Weltmarke aufgestiegen, aber eine Familie geblieben sind. Dass er nie vergessen hat, worum es im Geschäft mit dem Ball geht: um Menschen, nicht um Maschinen. Und dass er sich meistens auf seinen Bauch verlassen hat, mehr jedenfalls als auf diese ganzen Managementstrategen.
Zum Beispiel beim Fanshop in Oberhausen, auf den er „besonders stolz“ war. „Sagt jeder: Oberhausen? Zwischen Schalke und Dortmund?“ Warum ausgerechnet da? „Und genau deshalb!“, juchzte Hoeneß. Damit die Schalker und Dortmunder jeden Morgen am Bayern-Shop vorbeimüssen, „das freut mich“. Das Geschäft werfe längst einen schönen Gewinn ab. Aber selbst, wenn nicht: „Der Laden muss sein.“
So war er, der Uli. Mia san mia, immer Ehrgeiz, aber mit Betonung auf Ehre, nicht auf Geiz. Dann aber kam Hoeneß ins Gefängnis. Und mit dem Abgang des Patrons kam, was Mitarbeiter des Shops in Oberhausen nun als knallhartes Management aus München erleben. Vor dem Arbeitsgericht Oberhausen klagt eine Verkäuferin, weil der Klub mit zwei von elf Überwachungskameras den Sozialraum ins Visier nimmt – den Ort, an dem sich die Mitarbeiter umziehen oder ihr Butterbrot essen.
Die Bayern-Manager behaupten, damit Diebstahl verhindern zu wollen. Mitarbeiter in Oberhausen glauben davon kein Wort, denn hier habe noch nie einer in die Kasse gegriffen oder einem Kollegen in die Tasche. Dem sonst so honorigen Rekordmeister gehe es um die Vollüberwachung der Arbeitskräfte, um totale Kontrolle, um Druck – weil der Umsatz stark gefallen ist.
Es ist eine hässliche Geschichte, die in der Klage auf elf Seiten ausgebreitet wird, und sie wird noch hässlicher, seit das Gericht der Verkäuferin am 7. Januar in einem Versäumnisurteil erst mal recht gegeben hat. Statt die Kameras im Sozialraum abzuschalten, wie es das Urteil verlangt, geht der Verein dagegen vor. Und trickst wohl so dreist, als müsste in der 89. Minute noch ein Elfmeter geschunden werden.


Eröffnet wurde der Bayern-Fanshop in der Oberhausener Ladenmeile Centro 1997, zu einer Zeit, als Rivale Borussia Dortmund gerade zweimal hintereinander deutscher Meister geworden war. Uli Hoeneß, als Fußballer wie Manager immer volle Attacke, wollte trotzig die Bayern-Fahne im Ruhrgebiet hissen, zunächst auf knapp 50 Quadratmetern. Anfangs machte der Verein mit dem Shop Miese, aber dann stiegen die Jahresumsätze Richtung Millionengrenze, 2007 zog der Klub in einen anderen Laden mit 120 Quadratmetern um.
Auch der hatte in seinem Sozialraum schon eine Kamera. Aber angeschaltet war sie nur nach Ladenschluss, für den Fall, dass nachts Einbrecher den Tresor in dem Raum knacken wollten. Hinzu kamen noch die Kameras vorn im Geschäft: Was die tagsüber aufnahmen, konnten sich die Verkäufer gleich auf einem Monitor anschauen. Etwa wenn ein Ladendieb aufgefallen war und die Polizei die Beweisbilder brauchte. Nichts davon landete offenbar in München.
Im Frühjahr 2015 entschied der Klub, dass der Shop im Centro noch mal wachsen sollte. Der nächste Umzug, diesmal auf 207 Quadratmeter. Das Ganze sollte jetzt edler, kühler, glatter daherkommen – mehr Platz, weniger Artikel, der Premium-Schick, den sich Prestigemarken überall verpassen, egal ob sie Autos, Handys oder Meistertrikots verkaufen.
Allerdings stieg mit dem näher rückenden Eröffnungstermin im November die Nervosität in München: Die Umsätze fielen drastisch. Im Geschäftsjahr 2013/2014 waren es noch fast 2,4 Millionen gewesen, im Jahr darauf nur rund 1,9 Millionen, angeblich blieben karge 4000 Euro Gewinn. Und so ging es weiter: nach unten.


In Oberhausen hatten sie auch eine Ahnung, woran das lag. Nicht nur an der wachsenden Konkurrenz des Onlinegeschäfts. Die Manager in München hatten sich ein neues Shopkonzept ausgedacht, das sie strikt durchziehen wollten, egal ob in München oder Oberhausen. Von „Visual Merchandising“ war die Rede, schon im Februar hieß das beispielsweise: weg mit den Grabbeltischen an der Kasse, die in Oberhausen viel Umsatz brachten, aber nicht stylisch aussahen. Und Trachten zum Oktoberfest. Trachten! In Oberhausen kaufte so etwas keiner.
Natürlich meldete der Shopleiter das nach München, aber dort suchte man die Fehler lieber in Oberhausen: Irgendetwas mussten die Mitarbeiter falsch machen. Nur was? Dass man so weit weg sei und nicht wisse, was da laufe, sei ein großes Problem. Eines, das man nun mit einer totalen Kameraüberwachung lösen wollte?
Als der neue Shop am 24. November öffnete, hingen nicht nur vorn im Laden, sondern auch im Hinterraum zwei Kameras. Dort waren zwei Tresore übereinander in die Wand eingelassen, und bei Feuer sollten Kunden durch den Raum aus dem Shop flüchten können. Gleichzeitig war das Zimmer aber auch der Sozialraum, den der Gesetzgeber ab zehn Mitarbeitern verlangt. Die zogen sich dort um, legten ihre Jacken, Taschen und private Kleidung ab, machten Pause. Sozialräume dürfen nicht videoüberwacht werden, da gibt es wenig Spielraum.


Offenbar setzten die Manager in der Zentrale auf Überrumpelung. Was die Kameras dort sollten – dazu kam aus München vorab kein Wort. Was gefilmt wurde, wie lange, wo die Bilder gespeichert wurden, wer sie sich ansah – Schweigen.
Hektisch wurde es in München erst, als der Centro-Betreiber am Tag vor der Eröffnung eine Bescheinigung verlangte, dass die Kameras nicht gegen den Datenschutz verstießen. Die stellte im Eiltempo Heidi Schwarzenbeck aus, die Datenschutzbeauftragte des FC Bayern und Tochter der Klublegende Katsche Schwarzenbeck. Mia san mia: Nach Oberhausen gefahren war sie deshalb nicht, und der Paragraf aus dem Datenschutzgesetz, den sie für ihren Persilschein zitierte, war für die Kameras im Hinterzimmer der falsche.
Kein Wort davon, dass die Kameras von nun an rund um die Uhr liefen; die Bilder offenbar live nach München gingen; im Laden kein Monitor mehr stand, damit dort einer hätte sehen können, in welche Tiefen des Raums die Objektive schauten.
Im Dezember hatte eine Verkäuferin, die seit 16 Jahren im Fanshop arbeitet, genug. Sie verlangte, dass die Kameras im Sozialraum abgeschraubt werden, und drohte mit Klage. Die Bayern weigerten sich, ihre Begründung: die Tresore. „Zum Schutz vor Diebstahl“ müsse man die Geldschränke per Video überwachen.
Dabei ist der Raum nach hinten mit einer schweren Stahltür gesichert, nach vorn, zum Verkaufsraum, mit einem Alarmmelder. Wer diese Tür ohne Schlüssel aufdrückt, löst einen schrillen Ton aus. Wie sollte sich da ein Einbrecher tagsüber unbemerkt zu den Tresoren schleichen?
Davon abgesehen: Zwar behaupten die Bayern, in ihrem Shop in Berlin seien kürzlich 7000 Euro aus einem Tresor gestohlen worden. In Oberhausen war aber so etwas nie passiert. Den Mitarbeitern schwante deshalb etwas anderes: Vollkontrolle, weil der Umsatz abstürzt.
Dafür sprach eben auch, dass die Bilder nun kein Verkäufer im Laden mehr sehen konnte. Wie man auf diese Weise Ladendiebe schnappen sollte? Den Mitarbeitern wurde dazu nichts gesagt. Saßen in München nun Detektive vor Monitoren? Warum riefen die dann nie an? Und wenn das Personal im Laden einen Dieb ertappt hätte – wen hätte es in München anrufen sollen, damit die Polizei die Bilder bekommt?
Mitte Dezember dann die Klage: Es gebe „keinen Winkel mehr“, der im Sozialraum nicht überwacht werde – ob die Verkäuferin bitte schön einen „Striptease“ vor „laufender Kamera“ hinlegen solle, wenn sie sich umziehe, und ob sie sich dabei zugucken lassen müsse, wenn sie im Pausenraum ein Deo auftrage? Den Bayern gehe es in Wahrheit um „ständige Überwachung“, um ein „Bewegungsprofil“, um den „gläsernen“ Beschäftigten. Der Grund dafür, so die Klage: „Jahr für Jahr höhere Ziele beim Verkauf“.
Die Bayern verschliefen den Prozesstermin; Anfang Januar fingen sie sich ein Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Oberhausen ein. Demnach sollten sie die Kameras im Sozialraum abschalten, sollten Auskunft geben, ob und wie die Verkäuferin auf den Bildern zu sehen war. Und schließlich die Bilder löschen.

Doch einfach nachgeben? Verlieren? Die Bayern? Der Verein legte Einspruch ein: nicht nur, dass es sein gutes Recht sei, Tresore und Fluchtweg zu überwachen, selbst im Sozialraum. Tatsächlich seien die Kameras dort so justiert, dass der größte Teil des Raums gar nicht zu sehen sei. Als Beweis lieferte der Bayern-Anwalt einen Grundriss, in dem alle Kameras vorn im Laden mit weiten Blickwinkeln eingezeichnet waren – die im Sozialraum aber mit ganz schmalen, nur etwa halb so großen.
Was die Bayern-Manager dem Gericht verschwiegen: Noch als im Januar das Urteil fiel, waren die Kameras im Sozialraum offenbar so eingestellt wie die anderen vorn im Laden; sie erfassten den ganzen Raum. Das soll Bayern-Jurist Michael Gerlinger in einem internen Gespräch mit zwei Vorständen auch eingeräumt haben. Doch einen Grundriss mit den alten, großen Blickwinkeln legte der Verein dem Gericht nicht vor. Stattdessen machten sich Mitte Januar Techniker wortlos an den Kameras zu schaffen. Davon steht im Schriftsatz des Bayern-Anwalts nichts.
„Hier wird im Verfahren getrickst, dass es eines FC Bayern München unwürdig ist“, sagt der Essener Arbeitsrechtler Christian Nohr, der die Verkäuferin inzwischen vertritt. „Offenbar gibt es gute Gründe, warum die Bayern nicht verraten wollen, welche Bilder sie gemacht haben und was damit passiert ist.“
Sehr diskret werden die Bayern auch, wenn es um die Frage geht, wie lange die Bilder bisher aufbewahrt wurden. Anfangs war von 180 Tagen die Rede – für Datenschützer ein Unding. Dann hieß es: Missverständnis, es sei deutlich kürzer. Wie viel kürzer? Wieder keine Angaben. Dabei müssen das die Bayern jedem, der ihren Shop besucht, auf Wunsch mitteilen.
Auch auf Fragen des SPIEGEL blieben die Bayern vorerst alle Antworten schuldig; man wolle sich zu laufenden Verfahren nicht öffentlich äußern. Ihr Anwalt schrieb immerhin ans Gericht, bisher habe sich nie einer bei Bayern die Aufnahmen aus Oberhausen angeschaut. Das alles habe selbstverständlich nichts mit Schnüffelei zu tun. Also auch nicht mit Druck auf die Verkäufer, mit schlechten Zahlen.
Bevor es zu besseren Zahlen kommt, müsste aber wohl erst mal die Stimmung besser werden. Ende Januar wurde der Filialleiter in Oberhausen nach fast 19 Jahren gefeuert, obwohl man ihn noch kurz zuvor als verdienten Mitarbeiter bezeichnet hatte. Er hatte sich in einem erregten Brief an den ganzen Bayern-Vorstand über Arbeitsbedingungen auf dem „Niveau der untersten Kreisklassen“ beklagt; auch die Kameras spielten darin eine Rolle.
Anfangs wollte sich der Verein im Guten von ihm trennen. Nachdem der Mann aber zum Anwalt gegangen war und der Anwalt dem Klub mit seinen rund 800 Angestellten empfohlen hatte, endlich mal einen Betriebsrat zu gründen, kam am nächsten Tag die fristlose Kündigung. Begründung: keine.
Und es geht nicht nur um Oberhausen. Auch im Mega-Fanstore in der Münchner Allianz-Arena leidet das Betriebsklima unter Frost im Umgang zwischen Chefetage und Mitarbeitern. Die Aushilfen bekämen immer mehr „Druck, Druck, Druck“, sagt ein Ex-Bayern-Mann, da regiere nur noch eiskaltes wirtschaftliches Kalkül. Heute verließen immer wieder Beschäftigte den Klub freiwillig, so etwas habe es früher kaum gegeben. Früher. Unter „dem Uli“.

Von Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch und Jörg Schmitt 20.02.2016
DER SPIEGEL